Musik oder TA Lärm?

Ohne Musik: Der Seethaler. Foto: Engel

Es ist oft ein Kreuz auf der Welt, weil immer alles so schwierig ist, unmachbar geradezu, und grad wegen der Rechtslage. Er will im September einen kleinen Oktoberfest-Abend machen, sagt der Seethaler-Wirt im August, mit ein bisserl Blasmusik, auf seiner Freischankfläche: drei bis fünf Musiker, ohne Verstärker, von 17.00 bis 22.00 Uhr. In Straubing. Am Stadtplatz. „Mein lieber Freund“, hab ich mir da heimlich gedacht, „du kennst die Bürokratie nicht.“ Diese Woche hab ich bei ihm nachgefragt, ob‘s denn was wird. Da sagt er: „Nein. Keine Genehmigung.“ Das war von Anfang an klar.

Es ist nämlich so, dass so etwas nicht genehmigungsfähig ist. Wer einen solchen Antrag stellt, erhält in etwa folgende Antwort: „Nach Rücksprache mit unseren Kolleginnen und Kollegen des Amtes für Umwelt- und Naturschutz müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass Musikdarbietungen auf Freischankflächen auf dem Stadtplatz aufgrund immissionsschutzrechtlicher Belange auch ausnahmsweise nicht zugelassen werden können. Die Durchführung der Veranstaltung in der angefragten Form ist demnach leider nicht möglich.“

Die Rücksprache mit sehr vielen Leuten kann man sicher glauben, das zweimalige „leider“ vielleicht sogar auch, und ganz sicher ist dies: Im Mai vor drei Jahren wollte der damalige Seethaler-Wirt vor dem Lokal eine erstklassige Dixie-Band spielen lassen, die Jazz-Tigers aus der Schweiz, von 10.00 Uhr bis 14.00 Uhr. Es war leider nicht möglich. Da hat er sie im Wirtshaus drinnen spielen lassen, bei schönstem Frühlingswetter, mit geöffneten Fenstern. Das war absurd, aber auch Straubing. Der Grund? Die Rechtslage. Immissionsschutzrecht. Die TA Lärm.

Was kein Problem ist, was schon

Die regelt die Dinge so dermaßen gründlich, dass für einen steuerzahlenden Wirt fast gar nix mehr geht. Du kannst ein Bürgerfest machen am Stadtplatz mit Bässen, die so dermaßen wummern, dass ein Anwohner sagt, dass bei ihm Vitrinen vibrieren und sogar die Gläser zu tanzen anfangen. Aber das muss er aushalten; Du kannst ein buntes Fest auf dem Ludwigsplatz machen, das bis weit in den Theresienplatz dröhnt; du kannst Eiszauber, Fanfest und Open Air machen mit Wahnsinns-Verstärkern, und es ist kein Problem, außer vielleicht für den Anwohner. Aber unpluggged auf einer Wirtshausfreifläche? Da sei Gott vor! Leider nicht möglich. Und zwar zum Anwohnerschutz.

Am Bürgerfest haben sie eine große Blasmusik mit Verstärker spielen lassen. Sieben-Mann-Blasmusik mit Verstärker, es war nicht zu fassen. Wer da in der Nähe war, war zum Schweigen verdammt, eine Unterhaltung ist da nicht mehr möglich. Aber eine kleine Kapelle ohne Verstärker ist ein Problem. Warum ist das so? Wegen dem Anwohnerschutz. Falls Sie je ein Beispiel für „paradox“ brauchen: Hier wäre eines.

Man darf wegen der TA Lärm nämlich nicht zu viele Veranstaltungen machen. Deshalb sagt die Stadt, dass es auf den Stadtplätzen schon über 100 Veranstaltungen jährlich gibt: Christkindlmarkt, Vorfreudefest, Jazzbrunch, Sonnenzugfest und die Volksfest-Masskrugpräsentation. Und verkaufsoffener Sonntag, Herzogstadtlauf, Schlaflos. Und Maiandacht, Auswärtsmarkt, Schrannenmarkt, Stadtplatzfest des Müttergenesungswerks, Oldtimer-Ausstellung, Gelöbnis der Bundeswehr und Christopher Street Day. Alles genehmigungsfähig, weil offenbar im Einklang mit der TA Lärm.

Was ist Aufenthaltsqualität?

Und dann noch „Oster- und Weihnachtsbasare, Infostände, nicht regelmäßig stattfindende Einzelveranstaltungen, Versammlungen, Straßenmusiker“. Sogar „das für jedermann zur Verfügung stehende Klavier des Kulturamts“ führt die Verwaltung auf, um daraus zu schließen: „Weitere Veranstaltungen, wie der von Ihnen angesprochene geplante Oktoberfestabend, würden eine weitere Lärmbelastung für die Anwohner bedeuten.“

Ich staune bei dieser Begründung. Infostände tagsüber am Stadtplatz machen aus einer kleiner Live-Musik am Abend eine “weitere Lärmbelästigung für Anwohner“? Die Maiandacht auch? Und auch Auswärts- und Schrannenmarkt? Haben also letztlich doch die Leute recht, die aufs Land ziehen und klagen, weil täglich (!) der Hahn zu früh kräht und die Kirchturmglocke zu laut ist? Es geht um die Zeit vor 22.00 Uhr, ein Marktplatz ist doch dazu da, Leben in eine Stadt zu bringen, und gerade die Gastronomie ist heute unverzichtbar für die Aufenthaltsqualität.

Steinigen Sie mich dafür, aber ich finde: Live-Musik ohne Verstärker zieht Menschen an. Sie schafft Aufenthaltsqualität. Eine solche Aufenthaltsqualität ist höher als bei einer dreitägigen Kakophonie mit fünf sich überschneidenden Bühnen plus gleichzeitiger Lautsprechermusik von verschiedenen Ständen wie beim Bürgerfest. Man sollte es Gastronomen deshalb leicht machen statt schwerer.

Was die Stadt nicht sagt

Natürlich kann man nun sagen: „Meingott, Herr Engel, das ist halt so, so sind die Regeln, wo ist das Problem?“ Aber gerade der Seethaler, Cortina und Meating haben einen echten Nachteil durch die Stadt. Wenn Ende April das Wetter so schön ist wie in diesem April, ist weiter westlich auf der dortigen Gastro-Insel jeder Tisch besetzt. Am östlichen Ende ist das nicht so. Da ist kein einziger Tisch besetzt. Denn da ist Dult, eine ganze Woche lang, und dafür müssen sie ihre Flächen räumen. Das ist ein großer Verdienstausfall.

Und obwohl die Wirte dort ihre Fläche eine Woche lang nicht nutzen können, müssen sie für diese Fläche voll bezahlen. Die Pacht gilt nämlich pro angefangenem Monat. Die Wirte bezahlen damit Pacht für den ganzen Monat, obwohl sie nur drei Wochen nutzen können.*)

Nun könnte die Stadt sagen: „Okay, wir sagen immer, wir wollen einen lebendigen Stadtplatz. Okay, die Gastronomen dort haben einen Nachteil. Lassen wir sie halt ein- oder zweimal im Jahr ein bisserl Musik machen, wenn sie meinen, dass ihnen das etwas bringt.“ Das könnte die Stadt sagen, sie hat ja auch einen Ermessensspielraum. Aber das sagt die Stadt nicht, und das finde ich schade.

Zum guten Schluss: Mein Kompromissvorschlag

Viele Städte machen es so wie Straubing. Aber es geht auch anders, eben weil eine Stadt Ermessensspielraum hat. Zum Beispiel Freising: In der dortigen Verordnung der Stadt Freising über die Sperrzeit für Freischankflächen von Gaststätten (Sperrzeitverordnung) steht zur Musik nur ein Satz: „Musikalische Darbietungen müssen um 22 Uhr beendet sein.“ Auf Nachfrage dazu teilt die Stadt Freising schriftlich mit: „Solche Veranstaltungen sind auch in ihrer Anzahl nicht begrenzt und müssen nicht angezeigt werden – solange die Vorgaben der Sperrzeitverordnung eingehalten werden.“

Deshalb habe ich unter gar nicht viel Mühe und extra für Straubing einen Kompromissvorschlag entwickelt. Er ist nicht so weitreichend wie in Freising, aber trotzdem sehr gut, und er sieht so aus: Wenn ein Stadtplatzwirt ein Trio nähme wie um Beispiel die Gredbengmusi, dann hätte er bayerische Musik, die zu einem Oktoberfest passt und unverstärkt nicht nennenswert lauter ist als die Freischankfläche an sich.

„Wenn das bereits stört“, sagt ein Musiker, „muss man auch den Freischank verbieten, ‘Gute Nacht’ sagen und sehr früh zu Bett gehen.“ Der Stadtplatz wäre dann ein vom Amt für Umwelt- und Naturschutz immissionsschutzrechtlich abgesicherter Schlafplatz, und Bürokratieabbau ist nur ein Wort. Es ist halt ein Kreuz auf der Welt.

*) Anmerkung: In der Erstversion des Artikels hieß es: „Die Pacht (der Freischankflächen) ist nicht billig. Nach Corona hat die Stadt den Quadratmeterpreis um 60 Prozent erhöht, von gut sechs auf über zehn Euro.“ Das ist nicht richtig. Die Freischankflächen-Pacht blieb im Gegensatz zur Pacht städtischer Läden unverändert.

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Verkalkuliertes Gesamtpaket?

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„Insgesamt verheerend“