Straubing, We Have A Problem!
So Blau-Weiß war die Kurve schon vor einem Jahr. Foto: Engel
Es gibt ja dieses bekannte und leicht böse Sprichwort, aus dem 15. Jahrhundert angeblich, vermutlich kennen Sie es: „Eher werden die Straubinger Deutscher Eishockeymeister, als dass sie ihr Rathausdach fertig eindecken.“ Ich habe das nie geglaubt. Das würde ja heißen, dass das komplett Unerwartete erwartbarer als das Erwartbare ist, das ist doch nicht logisch. Ich habe deshalb immer geglaubt, dass dieses Sprichwort eine Erfindung ist, aus den 2020er Jahren vielleicht, ersonnen von einem leicht bösen Schreiberling, aber was weiß denn ich. Seit Sonntagabend, 18.55 Uhr, glaube ich aber: Egal, wer’s erfunden hat: Das Sprichwort stimmt.
Hätte jemals irgendwer für möglich gehalten, dass eine Straubinger Mannschaft nach 19 Spielen die DEL anführt? Mit acht Punkten Vorsprung? Außer Jürgen Pfundtner natürlich, der zählt aber nicht, weil der schon vor 20 Jahren als einziger Mensch auf diesem Planeten einen DEL-Aufstieg für möglich gehalten hat, wodurch jedem Straubinger klar war, dass der Mann keinen Sinn für das Mögliche hat. Und jetzt ist dieses Team in der DEL auf Platz Eins. Das ist natürlich keine Garantie für den Titel, aber damit haben wir eine echte Chance. Und außerdem haben wir noch etwas: Straubing, wir haben ein Problem!
Wir haben am Sonntagabend Bremerhaven geschlagen, diesen saustarken Zweiten. Die haben schon richtig Playoff-Hockey gezeigt, wir aber auch. Und wir haben am Schluss mit nur vier (sic!) Abwehrspielern gespielt, und ohne Brandt. Außerdem haben wir Haukeland. Wir haben ein Wahnsinns-Team. Was ist, wenn wir Meister werden? Hat sich irgendwer schon darüber Gedanken gemacht?
Was, wenn wir Meister werden?
Gut, das Publikum schon. Das Publikum singt ja schon seit einiger Zeit, dass „Deutscher Meister nur der EHC“ wird; außerdem habe ich aus sicherer Quelle erfahren, dass in einer Drittelpause dem für das Internet-Radio Tigers On Air tätigen grünen OB-Kandidaten Erhard Grundl die Frage gestellt worden ist, was im lieber sei, Wahlsieg oder Meisterschaft; „Natürlich Meisterschaft!“ soll er gerufen haben, sogar mit Ausrufezeichen und einem „Des is für die Ewigkeit!“. „Ja, und?“, werden Sie sagen, „das lässt sich leicht rufen, wenn der eigene Wahlsieg so unerwartet ist, dass sogar eine Meisterschaft dagegen komplett erwartbar klingt.“ Aber genau das zeigt das Problem: Was, wenn wir Meister werden?
Wurde mir aus dem Presseraum zugespielt: Zwei „Lieber Meister“-Männer. Foto: Arno Nym
Haben wir einen Rathaus-Balkon? Wir haben noch nicht einmal ein fertiges Dach auf dem Rathaus. Man braucht einen Rathaus-Balkon, wenn man Meister wird. Jeder Meister braucht einen Rathaus-Balkon. In Stuttgart zum Beispiel hat der OB vor zwei Jahren die deutschen Volleyball-Meisterinnen am Rathaus-Balkon empfangen, der HSV hat sogar einen lausigen zweiten Platz in der Zweiten Liga auf dem Rathausbalkon gefeiert, und Bayern München hat sowieso ein Abo auf den Münchner Balkon. Außerdem ist im vergangenen Juni sogar die Ü 35 des SV Rot-Weiß Kyritz (in Brandenburg, 9 300 Einwohner) auf dem dortigen Rathaus-Balkon gelandet.
„Zurück in Kyritz“, hat die Märkische Allgemeine Zeitung nach dem Gewinn von Kreismeisterschaft und Kreispokal berichtet, „steuerten sie das Rathaus an und schafften es bis auf den Balkon. Obwohl es nicht mehr lange war bis Mitternacht, standen ihnen die Türen dort offen.“ Und mit tiefer Befriedigung fährt der Bericht fort: „Eine große Menschenmenge erfuhr so vom Erfolg der Kyritzer Ü35-Kicker.“ Und was, bitte, wird die hiesige Presse schreiben können? Was ich? „OB empfängt Meister und Fans direkt vorm Schützenhaus“? Also, bitte.
Kann Straubing das auch?
„Okay“, werden Sie vielleicht sagen, „da ist ein Problem. Aber es ist doch lösbar. Hat nicht Wolfsburg damals seinen Titel auch bloß auf einer Bühne gefeiert, weil sie dort auch keinen Balkon haben?“ Da haben sie Recht. Aber in Wolfsburg können sie Bühnen besorgen. Kann Straubing das auch? Ich habe Zweifel.
Wissen Sie noch, was das für ein Gschiss war, bis es wieder eine Tribüne zum Volksfest-Vorfreudefest gegeben hat? Es war der Stadt zunächst einfach nicht möglich, eine zu besorgen. Es hat sich erst die SPD einschalten müssen. Die SPD! Man muss sich das vorstellen! Da hat dann wenigstens der Festwirt Hubert Reisinger reagiert. Ich fürchte, diesmal könnte es ähnlich kommen. Denn ich befürchte: Es wird niemand Zeit haben bei der Stadt, sich um Balkon oder Bühne zu kümmern. Die Stadt wird ja (mit Recht!) erst einmal ihre gesamte Energie darauf verwenden, das Rathausdach endlich fertig zu decken.
Kürzlich ist ja das Gerücht kursiert, es sei schon so weit, es werde nun endgültig eingedeckt. Aber dann war’s doch nur ein Gerücht. Balkon oder Bühne: Viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Spätestens am 7. Mai wird der Meister gekürt, am 8. Mai müsste dann alles fertig sein, für Straubing ist das ein verdammt enger Zeitplan. Ich fürchte, das schafft Straubing nicht. Aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht kehrt sich das alte Sprichwort ja um und wir stellen fest: „Die Straubinger decken ihr Rathausdach ein, bevor ihre Tigers Deutscher Meister sind.“ Vielleicht müssen wir nur fest an das Unerwartbare glauben. Notfalls halt am neuen Wasserspiel, mit blau-weißem Lichterstrahl, das soll ja fast rechtzeitig fertig werden. Und Eines ist sicher: Diese unglaubliche Mannschaft hätte es verdient.
