Hat zufällig jemand 1,5 Millionen?

Zaun und Gerüst muss man sich natürlich wegdenken. Foto: Engel

Ich fürchte, wir haben eine Idee gehabt. Es ist eine sehr gute Idee, aber gefallen wird sie wohl keinem. Durchführbar ist sie außerdem auch nicht. Und: Wir brauchen Millionen für diese Idee, und die haben wir nicht. Alles in allem, bei Lichte besehen und unterm Strich sind das keine guten Voraussetzungen für eine Idee, und das ist schade. Aber so ist das halt. Es geht um den Steinerthor-Platz.

Es ist Ihnen aufgefallen, dass der Woolworth – oder Bilka, wie ältere Menschen gern sagen – derzeit geschlossen ist, weil er sich im Abriss befindet; und so lang das so ist, sieht man im Hintergrund eine Fassade. Wir waren im Schifferl, es war noch früh, genau um die Zeit, von der man sagt, dass morgens um sieben die Welt noch in Ordnung ist. Es kommt eine Freundin hinzu. „Habts ihr die Fassade scho amal angschaut?“, sagt sie, „des wär doch wirklich a schöner Platz, wenn da gar nix mehr hinbaut werden tät.“

Sofort haben wir zugestimmt. Jedem war klar, was sie meint: Nämlich, wenn man von der Ampel vor der Hypo/Vereinsbank hinüberschaut auf den Steinerthor-Platz, dann sieht man diese schöne Fassade vom Eckhaus Steinergasse/Rosengasse.

Richtige Plaza, Überdachung nicht nötig

„Schad“, hab ich gesagt, „dass uns das Woolworth-Areal nicht gehört. Weil dann könnten wir einen Platz draus machen...“ – „mit einem Biergarten!“ hat ein Freund sofort aufgejubelt, „weil da war ja scho oana!“ Nach diesem Jubel durfte ich weitersprechen: „...und man tät diese Fassade jederzeit sehen.“ Ein Anderer am Tisch begann sofort zu rechnen. Er hat einen vermuteten Bodenrichtwert von 350 oder 400 Euro angesetzt und eine vermutete Quadratmeterzahl von etwa 4 000, und damit hat er ungefähr 1,5 Millionen Euro errechnet, die das Areal kosten könnte.

1,5 Millionen also sollte man einem Eigentümer mindestens bieten können, wenn man das kaufen wollte, in diesem Fall dem Gabriel Winter. Weil wir für unser Plaza-Projekt aber gar nicht das ganze Areal brauchen, sondern nur den nördlichen Teil, könnte der Gabriel Winter im östlichen Teil ja trotzdem was bauen, und dann bräuchten wir gar keine 1,5 Millionen, sondern höchstens vielleicht 500 000. Weil wir aber nicht einmal die besitzen und es also eh schon wurscht ist, bieten wir doch 1,5 Millionen. Keine Ahnung, ob die Rechnung stimmt, aber wir waren uns einig, dass dieser Plan prima ist: Win-Win für alle, für Gabriel Winter, für Straubings Bevölkerung und nicht zuletzt für unser Ego.

Eine richtige Plaza, mit Biergarten, dazu zusätzlich noch zwei, drei Bäume: Es wäre großartig, und es wäre sogar eine Plaza, die man nicht überdachen müsste. Sogar einen Fischstand würden wir vielleicht draufstellen, einfach nur deshalb, weil ein Fischstand etwas Gutes wäre. Aber ich fürchte, dass dieser Plan scheitert. Und zwar nur an der Winzigkeit, dass wir keine 1,5 Millionen besitzen. Das Leben ist ungerecht.

Ist das gut? Aber ja!

Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als diese Fassade zu betrachten und darüber nachzudenken, warum man einst der Ansicht war, dass eine Fassade auch ansehnlich sein und etwas Schönes fürs Auge bieten müsse, und warum diese Ansicht heute so unpopulär ist. Heute sind viele Fassaden nur weiß, flächig und schmucklos und man baut lieber so etwas wie dieses Sparkassenteil, am Theresienplatz-Eck zur Seminargasse, etwas von erschütternder Schlichtheit. Da hat man früher anders gedacht.

Augenweide. Foto: Engel

Man denkt als Laie zunächst, dass diese Fassade Barock oder Rokoko ist. Aber das ist sie nicht. Ich hab den Graf Robert gefragt, weil der eine Koryphäe und ich finde, dass bei historischen Gebäuden er Straubings höchste Instanz ist. Er hat mir eine Foto von diesem Haus geschickt, entstanden im 19. Jahrhundert. Da ist nichts Barockes. Aber schön ist das auch. Fenster mit Rundung und Fensterkreuz, dazu Fensterläden: Vieles, was das Auge gerne betrachtet und woran es sich festhalten kann. Aber stattdessen Neobarock? Ist das denn gut? Ja, finde ich, das ist gut.

Der Regensburger Hof.

Dieses Haus ist gut 600 Jahre alt. Ursprünglich war es eine Brauerei mit Gastwirtschaft, sagt Robert Graf, aber das große Brauereisterben von 1860 hat nur die Wirtschaft überlebt, nämlich der sehr beliebte Regensburger Hof. „Zum Ausschank“, teilt mir der Robert mit, „kam Bier der Franziskaner-Brauerei München, deshalb auch vom Volksmund ‚d'Hacka‘ oder ‚Deglbixn‘ genannt.“ 1918 ist der Regensburger Hof umgebaut worden zu einer Filiale der Bayerischen Diskonto- und Wechselbank, dann war’s eine Filiale von Neckermann und dann noch allerlei.

Leider, das Kleingeld fehlt

Die Fassade ist damit Neobarock. Ich glaube, dass alles, was mit „Neo“ beginnt, für viele Architekten etwas ganz Furchtbares ist. Sie werden dann blass und sie sagen: „Disneyland! Das ist doch alles Disneyland!“ Und sie sagen, dass man kein Disneyland machen darf und etwas ganz Neues bauen muss, etwas ganz Anderes, Modernes, „in der Formensprache der Zeit“. Und dann machen sie etwas flächig Langweiliges, frei von Details, ohne strukturgebende Muster, weil der Bauherr gern Geld spart. Und das Auge des Betrachters sagt: „Mein Gott. Diese ‘Formensprache der Zeit’. Wie unglaublich fad.“

Darum bin ich froh, dass das beim früheren Regensburger Hof anders ist, und dass diese Fassade neobarock ist. Die alte Form ist leider schon lange weg, aber bevor dieses Gebäude so wird wie dieses Sparkassen-Eck oder das frühere Kaufhaus Paul, freu ich mich über diese Fassade.

Aber ich verstehe auch gut, dass der Gabriel Winter statt einer Plaza lieber ein Hotel baut. Ich glaube auch, es wird wesentlich besser sein als das Bilka/Woolworth-Teil zuvor, und ich finde: Auch der Gerl-Bau an der Persil-Uhr bietet etwas fürs Auge. Aber wenn ich 1,5 Millionen übrig hätte, würde ich, naja, Sie wissen schon. Wahrscheinlich würde man sogar noch viel mehr brauchen.

Fassade damals, Fassade heute. Foto neu: Gottfried Gräser

Zurück
Zurück

Terra incognita

Weiter
Weiter

Denkmal da, Dach dauert