Terra incognita

Ich war in Melbourne und Mailand, in Johannesburg, Tel Aviv und Toronto, ich kenne Landshut, München und Regensburg, und in Cham war ich oft. In Deggendorf nur, wenn Straubing dort spielte und trotz überlegenen Spiels regelmäßig verlor. Das war in den 80er und 90er Jahren, jedes Spiel dort war ein Desaster und meine Abneigung gegen dieses Nest groß. Ich mag dieses Deggendorf nicht. Außerdem ist es ein Dorf. Außerdem hat es uns die Fachhochschule geklaut.

Außerdem ist es hässlich, das sagen alle. Dummerweise habe ich in diesem Sommer aber das dortige Donaufest besichtigt, das ja etwas außerhalb des Dorfkerns ist. Es war wirklich schön. Ich glaube, deshalb bin ich neugierig geworden. Was ist, wenn es dort überhaupt schön ist, könnte das möglich sein? Mit einer Freundin bin ich also hingefahren.

Sie hat zu ihrer Tochter gesagt, dass sie nach Deggendorf fährt. Die Tochter reagierte verständnislos: „Was willst du in Deggendorf? Des is ja so greislich“, hat die Tochter gesagt, eine gute Tochter Straubings, mit Recht kann sie stolz sein auf sie, und ein vor 20 Jahren aus Oberbayern zugezogener Freund hat einmal erzählt: „Ich hab einmal ganz unbedacht ‚Deggendorf‘ gsagt. Da hams mir glei alle erklärt, wia furchtbar des Deggendorf is.“ Am Samstag sind wir also los. Es war dieser herrliche Samstag, 26 Grad, perfekt für eine Expedition nach Terra incognita, das unbekannte Land.

Und dann der Luitpoldplatz

Wir haben an den Stadthallen geparkt, sie haben offenbar gleich mindestens zwei davon. Eine Tiefgarage ist dort, 24 Stunden vier Euro. Das war uns aber zu teuer. Zum Glück war direkt an der Straße grad ein kostenloser Platz frei. Dann haben wir eine – mit Abbiegespur – fünfspurige Straße überquert, auf der kein Auto zu sehen war, die aber trotzdem eine Fußgängerunterführung hat. Seltsame Leute, haben wir gesagt, sie bauen Unterführungen unter fünfspurige Straßen, auf denen kein Auto fährt. Das war am Samstag um 11.25 Uhr. Dann sind wir ins Degg’s.

Das Degg’s ist ein Einkaufszentrum. Es liegt am Rande der Innenstadt, genau wie unser Theresiencenter. Es ist ein bisserl größer vielleicht, aber ganz genau so gut besucht wie das unsere. Als wir das bemerkt haben, haben wir uns fast wie daheim gefühlt und sind in die Innenstadt über eine Gasse, die Veilchengasse heißt; und wir sind hinausgetreten auf einen Platz, der Luitpoldplatz heißt, und ich vermute, nach dem Prinzregenten Luitpold, weil dieses Deggendorf sich einen königlichen Namen wie Ludwig einfach nicht leisten hat können. Wir sind also hinausgetreten, und plötzlich: Wir haben gestaunt.

Alles war voller Leben. Der ganze Platz war gefüllt. Überall waren Lokale, Cafes, Eiscafes, Restaurants, Wirtshäuser, und überall waren die Freisitze besetzt. Und ganz besonders auffällig war: Da war so viel Grün! Das liegt nicht nur daran, dass sie an Samstagen dort sogar zwei große Märkte haben, einen am Luitpoldplatz und den anderen auf dem anderen Platz.

Und so viel grüner

Wir sagen ja immer, wie schön unsere Stadtgärtnerei unsere Innenstadt schmückt, und das ist ja auch richtig. Aber anderswo machen die Gärtner auch einen riesigen Job. All die Freisitze der Restaurants und Cafes wunderbar abgeschirmt von Unmengen an Pflanzen und Blüten, überall, wirklich. An diesem Luitpoldplatz ist das aber auch nötig, weil dort noch Autos fahren, in etwa so wie bei uns am Ludwigsplatz. Aber obwohl dieser Luitpoldplatz sehr viele Autos mit unserem Ludwigsplatz gemeinsam hat, ist er viel grüner.

Blauer Sonnenschirm? Anderswo kollabiert da der Denkmalschutz. Foto: Engel

Das ist sehr angenehm. Der Anblick von Menschen, die an Sommertagen in Innenstädten im Grünen sitzen, hat etwas Heiteres, Sommerliches, Entspanntes. Und gegen die Sonne haben verschiedene Lokale verschiedenfarbige Sonnenschirme, das eine Lokal weinrot, das andere grün, das dritte weiß, und dazwischen ab und zu ein kleiner Arco-Schirm oder Augustiner, und das ist dann blau. Und jetzt kommt das ganz Verrückte: Niemanden stört’s, obwohl diese Innenstadt unter Ensembleschutz steht. Es ist sogar schön. Es unglaublich.

Und weil wir zwei selber auch manchmal seltsam sind, haben wir auch etwas Spinnertes gemacht: Wir sind zu dem Fischstand und haben uns hingesetzt und ein bisserl Fisch gegessen. Beinah hätten wir uns gar nicht hinsetzen können, weil jeder Tisch voll besetzt war, was insofern seltsam war, als in Straubing ja jedermann weiß, dass so ein Fischstand niemals ein Geschäft sein kann. Aber dann sind grad Leute gegangen und wir haben uns setzen können. Zwei Minuten später sind andere Leute gekommen und haben gefragt, ob noch ein Platz frei ist, und wir haben „freilich“ gesagt, und sie haben auch Fisch gegessen.

Mango-Maracuja-Cocktail und Bier

Es waren Einheimische, „Indigene“, wie man heutzutage ja sagt: Sehr freundliche Leute, aktiv, kommunikativ, offen, sehr schönes Bairisch. Wir haben uns prima unterhalten, und sie haben recht lachen müssen, als wir ihnen enthüllt haben, dass wir auf Expedition in die Terra incognita und sie selber Gegenstand unserer Forschungen sind. Ihre Tochter hat einen Straubinger geheiratet und sie behaupten, dass er sich voll wohl fühlt in Deggendorf. Ich habe über das bunte Leben auf diesem Platz geblickt und gedacht, dass das vielleicht sogar stimmt.

Wir haben noch über allerlei gesprochen, auch darüber, dass ihrer Meinung nach Straubings Geschäftswelt noch etwas stärker ist, dass ihre Stadt sich aber sehr gut entwickelt und die Lebensqualität hoch ist. Dann sind wir weiter. Wir haben auf dem anderen Platz Enzis gesehen und auch diese kostenlosen Stühle, die vor etlichen Jahren auch in Straubing waren, aber nur für einen Sommer. Dann waren sie weg, verschleppt, gestohlen, entfernt, wer weiß das schon so genau. In Deggendorf gibt es sie noch, und fast alle waren besetzt.

Wir sind zum Donaustrand, einem wirklichen Strand, und auf dem Weg dorthin haben wir Fassadenpflanzen bewundert, die dort schon etwas weiter und zahlreicher sind als bei uns. Dann haben wir uns an der Strandbar auf einen Stuhl plumpsen lassen, haben einen Mango-Maracuja-Cocktail und ein Bier getrunken, hinausgeblickt auf die Donau und lange geschwiegen. Ich sage es ungern: Es war ein schöner Tag. Irgendwie südlich. Irgendwie Urlaub. „Des oanzige, was mir da fehlt “, hat sie nur gesagt, „des san de Straubinger.“

In der Lateinschulgasse, glaube ich. Foto: Engel

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Blech für die Plaza?

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