Der Peller Hansi
Der Peller Hansi und seine Frau Helene.
Ein Rückblick auf ein außergewöhnliches Wirteleben: Geschrieben 2017 zum Abschied aus dem Weißbierhaus
Peter Much hat gerade „Hans Peller“ gesagt, äußerst ungewöhnlich ist das, wer sagt schon Hans Peller? Noch nie zuvor hat irgendjemand „Hans Peller“ gesagt, nie, in ganz Straubing nicht. Hier hat man immer „der Peller Hansi“ gesagt, die so schön klare süddeutsche Sprachform, die übrigens auch die Ungarn, Japaner, das Telefonbuch und die Banküberweisung benutzen. „Wenn ich so überleg“, sagt Peter Much, „hat das außer mir wirklich keiner gesagt. Weil ‚der Peller Hansi‘: Das ist ein Begriff in Straubing.“ So ist es.
Das hier ist eine Abschiedsgeschichte. Der Peller Hansi hört auf, nach einem halben Jahrhundert als Wirt; dieses Wirtsleben umfasst Vieles: Eine Disco-Sensation, Redlbacher, Rennbahn und ein Erfolgspferd, das Peter Much niemals trainiert hat; und dann das Weißbierhaus: Vor ihm war das eine Boazn, die kein seriöser Straubinger aufgesucht hätte, heute ist es hoch anerkannt. Und dann umfasst dieses Leben auch noch einen Kartoffelsalat, der herausragend ist, davon aber später. Der Peller Hansi: eine tolle Geschichte.
Sie beginnt in der Goldenen Gans. Das war ein Gasthaus am Ludwigsplatz, wo heute das Weckmann’s ist. Die Mutter Wirtin, der Vater Metzger, harte Arbeiter beide. Als Fünfjähriger war er schon mit dabei im Gasthaus. Dinge hat er noch erlebt, die damals selbstverständlich waren und heute nicht mehr vorstellbar sind: Wie sich ein Streit emporschaukeln hat können, bis plötzlich an einem Tisch einer aufstand und am anderen auch einer, und sie haben die Tischdecke vom Tisch gerissen und um den Arm gewickelt und dann das Messer gezogen und gestochen. „Bis einer geblutet hat“, sagt der Peller Hansi, „zwei Mal hab ich das erlebt.“ Ein weiter Weg von dort bis heute.
Cassius Clay und der Waldsperger Ernst
Mitte der 50er Jahre war das. Gut 60 Jahre später sitzt der Peller Hansi an einem der Tische in seinem Weißbierhaus und sagt: „Den Mumm hat du nur einmal im Leben.“ Er meint den 13. Februar 1976, Shakespeare-Eröffnungstag. Wer wüsste nicht, was das Shakespeare war? Der coolste Ort des Planeten. Angesagt ohne Ende. „The place to be“, wie man heute auf Neudeutsch sagt, oder, noch neuererdeutsch: Das Shakespeare war The Real Thing. Wer da nicht drin war, war nicht dabei.
Man muss sich den Peller Hansi in dieser Zeit vorstellen als jungen Mann Mitte 20, immer mit Porsche, immer weißer Pelzmantel, und immer dabei der Waldsperger Ernst und der Wauk Meier: Drei Was-kostet-die-Welt-Typen, exaltiert, unbesiegbar, und mit unglaublichem Schlag bei den Mädeln. „Wennst an Laden aufmachst“, hat der Waldsperger Ernst zum Peller Hansi gesagt, „dann musst du was bauen, was für Straubing sensationell is: was wie in München.“ Und sie sind ins East Side, Münchens angesagtesten Laden. Namenlose Provinzprinzen galten da nichts. Mit dem Waldsperger Ernst war man aber keiner.
Man kennt den Waldsperger Ernst als „die Stimme Straubings“, den unterhaltsamsten Kommentator deutscher Trabrennen. „Zwei Mal“, sagt der Hansi, „hat er‘s sogar auf die Seite Drei in der ‚Süddeutschen‘ geschafft; einmal, weil er den Cassius Clay noch amal boxen lasst wollt, und des andere weiß ich nimmer.“ An der Tür des East Side hat er den Chef kommen lassen und um den Verstand geredet: „Der Wauk war plötzlich Besitzer von einer Discotheken-Kette, er selber hat Hotels in Kanada gehabt, und ich war Unternehmer. Da hat uns der neilassen.“ Vom Ernst beraten, hat der Hansi eine Disco gebaut: Das Shakespeare.
Spektakulär, sensationell, groß
Sündhaft teuer der Bau für die damalige Zeit, Kredit aufgenommen, totales Risiko. Kein Mensch hat gewusst, ob sowas läuft in Straubing, wo bisher überall Schlager und Schieber angesagt waren, zum Teil noch mit Live-Bands in Plüsch-Atmosphäre. Im Shakespeare dagegen: schwarze Musik, Motown, Soul, Funk, das war komplett neu. B 3 hat das noch fast gar nicht gespielt, drum haben damals ja alle Ö 3 gehört. Zur Eröffnung war Jürgen Herrmann da, einer der wenigen bekannten B 3-Moderatoren, den hat der Cairo-Wirt Wigg Voglmeier extra aus München geholt; im Rolls Royce ist er vorgefahren, angemietet für diesen Abend, spektakulär, sensationell, groß.
Die erste Scheibe war Funk von Tower of Power: „Don’t change horses in the middle of a stream“, aufgelegt vom Wigg Voglmeier. Aber bald war der DJ der Wauk. Jeden Montag sind sie nach München ins Citta 2000, den legendären Plattenladen, und danach durch München und haben mitgenommen, was da war, darunter auch Frauen, „Hasen“ in der Sprache der Zeit, und es waren viele Hasen. Und in der Oktoberfest-Zeit haben sie am Viktualienmarkt Fische gekauft und beschlossen, dass es beim Käfer jetzt schön wär.
Und sie sind im Porsche die kleine Straße an der Bavaria runter zur Wiesn, und der Waldsperger Ernst hat der Polizeisperre klar gemacht, dass sie die Fischlieferanten vom Käfer Gerd sind, und das Parkplatzproblem war gelöst. Und Mittwoch wieder nach München, zum Gastro-Einkauf im Hurler-Großmarkt. Denn mit den Taxis-Stuben im Redlbacher hatte der Peller Hansi noch ein Lokal, das als eins der besten in Straubing galt, und zufällig war am Mittwochabend immer auch Renntag in Daglfing.
Erst der Schah, dann die Feldjäger
Was die Geschichte vom Peller Hansi so schön macht, ist diese Mischung, die in der Rückblende spielerisch leicht wirkt wie das Drehbuch der „Münchner Geschichten“: Schnelle Autos, schöne Frauen, aber immer auch Arbeit: Als Bub auf einem Tragerl hinterm Tresen in der Goldenen Gans, dann Hotelfachschule Bad Wiessee, und dann erste Adressen. Schweizerhof in St. Moritz, wo er den Schah noch gesehen hat, dann an die Cote d’Azur, im Service des Grand Hotel Cap Ferrat, wo damals Onassis verkehrte und heute Oligarchen und Ölscheichs. Es geht um Leistung an solchen Orten. Das war etwas, das er von seiner Mutter her kannte, in der Goldenen Gans und den Taxis-Stuben.
Aber erst haben ihn die Feldjäger kassiert nach der Rückkehr nach Straubing, Wehrdienst nachholen. Schnell war er Chef-Ordonnanz im Offizierscasino Landshut. Ein General fragt, wo er herkommt: „Ich sag: Straubing“, sagt der Peller Hansi, „sagt der: Hallo! Klein-Paris!“ Das war der Ruf, den Straubing damals noch hatte, mit all diesen Nachtlokalen mit Schiebermusik, und mit der Rennbahn. Jeder, der etwas Geld hatte, ist damals zur Rennbahn gerannt, und wenn er danach noch eins hatte, in die Lokale mit Schiebermusik.
In den Achtzigern hat er dann die Rennbahngaststätte übernommen. Der Grund war Helene, seine Frau. Für sie ist er raus aus dem Nachtleben. Die Rennbahn hatte gerade die Ejadonhalle gebaut, da waren große Hochzeiten möglich, Konzerte und Kleinkunst, Ringsgwandl, Bruno Jonas und der wuide Hund Söllner Hans, der im Konzert sagte, „De zwoa vom Verfassungsschutz solln etz aufsteh“. Und dann haben hunderte in der Halle „Mei Voda hod an Marihuanabamm“ gesungen, so laut es nur ging.
Starts, Siege, Papermoon
Der Hansi grinst heut noch, wenn er das erzählt, und auch, wenn er erzählt, was ihm der Bruno Jonas bestätigt hat: „De Ejadonhalle ist de greislichste Halle, wo er je war.“, Aber er zitiert noch einen Jonas-Satz, über das Shakespeare: „Da samma von Passau her hingefahren.“ Auf der Rennbahn selbst waren bis zu 10 000 Leute an manchen Renntagen. Der Hansi war immer schon einer von ihnen, und wie viele andere damals hatte er zeitweise selber ein Pferd. Aber es war keines wie die anderen. Sein Pferd war Papermoon: 33 Starts, 22 Siege, sieben zweite Plätze. Siege auf allen deutschen Bahnen von Daglfing bis Berlin.
Man kann nicht sagen, dass es Peter Much war, der frühere Realschuldirektor, der dieses Pferd zum Sieger trainiert hat. „Trainieren“, sagt Peter Much, „tut der Trainer. Und Trainer war ich nie“, außerdem gilt seit den Tagen des großen Simmerl die berühmte These von Ludwig Schmid-Wildy aus der Trabrennbahn-Folge der Münchner Geschichten: „Oan gibt’s allerweil, der als erster durchs Ziel rennt. Aber Sieger? Hamma scho lang nimmer.“ Aber man kann sagen, dass es Peter Much war, der das Potential dieses Pferdes erkannt und sich entsprechend gekümmert hat. Und man kann sagen, dass der Peller Hansi erkannt hat, dass Much der ideale Trainer für dieses Pferd gewesen wäre, hätte er eine Lizenz gehabt.
Im roten Porsche sind sie zu den großen Bahnen, Recklinghausen, Gelsenkirchen, Berlin, und hinten im Porsche war der Fery, Straubings zweitbekanntester Bernhardiner nach dem vom Wenisch. „Wer Bernhardiner kennt“, sagt Peter Much, „weiß, was da bleibt: dieser Geruch.“ Manche Menschen sagen, dass der Wenisch-Bernhardiner zwar allein bei Grün über Ampeln gehen konnte, dass aber, was den Gestank betrifft, der Fery weit überlegen war.
„Wissts was? Machtsas selber!“
Irgendwann ist für Papermoon ein Angebot gekommen, das kein vernünftiger Mensch ablehnen kann. Und noch einmal eines? „Nur noch, wenn‘s so gut ist wie der Papermoon“, hat seine Frau Helene gesagt und damit vermutlich viel Geld gespart. Und irgendwann ging es abwärts mit Rennbahn und Trabersport. Die Umsätze fielen, in der Gaststätte auch, die Vorstandschaft redete ihm immer mehr drein. Bis er 1994 in einer Sitzung: „Wissts was?“, gesagt hat, „machtsas doch selber!“ Aufgestanden, gegangen, vorbei.
„Die haben gedacht, ich hab scho was anderes“, sagt der Peller Hansi. Aber was er hatte, war nur das Vertrauen, dass er‘s schafft. Und dann ist das Weißbierhaus frei geworden: Ein Lokal, das nicht gut beleumundet war. In einer Zeit, als nur Italiener, Grieche und Chinese angesagt war und gewiss kein bayerisches Gasthaus, hat er aus einer Boazn eines der beliebtesten Gasthäuser Straubings gemacht. „Den Mumm hast du nur einmal im Leben“, sagt er über das Shakespeare, aber zum Weißbierhaus gehörte vielleicht sogar noch mehr Mumm.
Wir wollen nichts überhöhen, aber Straubing verliert in drei Wochen einen besonderen Wirt. Es ist aber nicht richtig, dass er immer nur „der Peller Hansi“ war. Vor Jahren hab ich in einem Artikel einmal „Pfeffer Franze“ geschrieben, ein Anfall geistiger Umnachtung, total unerklärlich, aber ja mei; am Stammtisch tratzen sie ihn heut noch damit. Erst hat er sich a bissl geärgert, aber dann hat er getan, was eh immer am besten war: Er hat auf die Helene gehört: „Is doch gut, wennst im Gespräch bist.“ Den Pfeffer Franze hat es übrigens wirklich gegeben, als Lebenskünstler in einer bayerischen TV-Serie, gespielt von Günther Maria Halmer, irgendwie passt das. Und jetzt zu diesem Kartoffelsalat, der herausragend ist und auch bleibt: Sein Nachfolger kriegt das Rezept. Dem Peller Hansi Glückwunsch und Respekt!