Das jährliche Murmeltier

Gut besucht, viele Ideen: Die jährliche Bürgerversammlung. Foto: Engel

Bürgerversammlung. Mindestens einmal im Jahr muss eine Bürgerversammlung her, so will es der Artikel 18 der Bayerischen Gemeindeordnung. In Straubing war es am Mittwoch wieder so weit: Etwa 140 Straubinger sind in die Fraunhoferhalle gekommen, das ist sehr viel, und das Thema war die Entwicklung der Innenstadt. Bürger durften fragen und Vorschläge machen, und die Verwaltung war auch da. Falls Sie nicht wissen wollen, wie der Abend war, müssen Sie jetzt aufhören zu lesen.

Wollen Sie wissen, welcher Vorschlag der spektakulärste in der Bürgerversammlung war? Ein Dach überm Stadtplatz, und aus welchem Material? Sie ahnen es sicher: Aus Glas! Ein Dach aus Glas über dem Stadtplatz, aus Glas noch dazu: In der Tat, das wäre spektakulär. Aber es wird nicht kommen. Denn leider, das kostet, und außerdem: Wer sollte das bauen? Das hiesige Hochbauamt? Ganz sicher nicht. Dort ist man schon froh, wenn man noch irgendwie zumindest ein Blechdach zustande bekommt.

Es war nämlich so, dass erst zwei Leute vom Dortmunder Beratungsunternehmens Moduldrei einen Vortrag gemacht haben, dann sind alle eingeteilt worden in Arbeitskreise. Die Kreise sollten möglichst viele, gute und die Innenstadt weiterbringende Ideen entwickeln, und zwar ohne die Finanzschere im Kopf. Wenn man so tun kann, als spielte Geld keine Rolle, kann man sich fröhlich die schönsten Sachen ausdenken, zum Beispiel ein Glasdach über dem Stadtplatz, und man kriegt vielleicht noch ein Lob für die visionäre Kraft der Idee. Also hat in einer der Arbeitsgruppen ein Bürger das Glasdach vorgeschlagen.

Wollen wir wetten?

Dafür: „Chapeau!“ Denn es ist der Gedanke, der zählt, und dieser Gedanke ist fantastisch und womöglich auch durchführbar, nur halt in Straubing nicht. Glasdächer sind einfach schwierig für Straubing, was aber nicht heißen soll, dass hier alles andere leicht wäre. Werfen wir einen Blick auf die in den Arbeitskreisen entstandenen Vorschläge: Ein Gastro-Angebot an der Donau und auch eine bessere Anbindung der Donau an die Innenstadt; Busse raus aus dem Stadtplatz und auf einen Omnibusbahnhof; Autos sollten auch raus; Mehr konsumfreies Sitzen am Stadtplatz; Nahverkehr stärken und besserer ÖPNV. Das also ist das, was die Bürger sich wünschen und formuliert haben.

Alles Ideen, entstanden am Mittwochabend oder schon vorher. Foto: Engel

Wahrscheinlich haben Sie bereits beim Stichwort „Donau“ bemerkt: Das ist alles nicht neu. Es sind immer wiederkehrende Wünsche. Woran liegt das? Wenn ein Wunsch immer wiederkehrt, kann das nur daran liegen, dass er noch nicht erfüllt worden ist. Genau daran liegt es auch. Da hilft auch nicht, wenn der OB und die Spitzenleute in der Verwaltung am Ende des Abends allen Teilnehmern danken für die guten Ideen, und es hilft auch nicht, wenn sie sagen, dass sie viele Ideen mitnehmen werden: Es wird nämlich nichts umgesetzt werden, und deshalb werden wir bei der nächsten Bürgerversammlung zum Thema Innenstadt wieder genau die gleichen Vorschläge hören. Wollen wir wetten?

Gut, ganz so stimmt das natürlich nicht. Man hört immer wieder auch neue Vorschläge, den mit dem Glasdach zum Beispiel. Oder auch den, dass man ein Tunnel vom Hagen in die Innenstadt machen könnte, das unterirdische Gegenstück zum Glasdach, vermute ich. Aber ansonsten sind es immer die gleichen Vorschläge, die in der Versammlung gelobt und nach der Versammlung vergessen werden. Den Wochenmarkt haben die Dortmunder Moduldrei-Berater übrigens schon vor der Versammlung vergessen. Zehn Antwortmöglichkeiten haben sie vorgegeben auf die Frage, was am Innenstadtangebot wirklich wichtig ist, einen durfte man auswählen, und als einer fragt, warum da der Markt nicht dabei ist, fragt Moduldrei: „Wer hätte dafür gestimmt, wenn er drin gewesen wäre?“ Geschätzt ein Drittel hebt da die Hand. „Oh!“, sagt Moduldrei.

“Aber wir prüfen”

Es gibt aber immer auch Vorschläge, die die Verwaltung nicht lobt. Zum Beispiel der Vorschlag eines Anwohners der Fraunhoferstraße. Seit Jahren leiden sie dort unter nächtlichen Autorasern, in anderen Gassen übrigens auch. Warum nicht Bodenschwellen machen, fragt der Mann. „Leider, geht nicht“, sagt die Verwaltung, weil das „gewisse Verkehrsrisiken“ brächte: Schlecht für Rettungswägen und Einsatzkräfte. Sturzgefahr für Radler. Ganz schlecht für Schwerbehinderte. Und darum: Leider, geht nicht.

In einer Landshuter Innenstadtgasse haben sie vor vier Wochen Bodenschwellen gemacht, Berliner Kissen: „Unauffällig, aber wirkungsvoll“, hat danach die Presse geschrieben. In Deggendorf gibt es das auch, und Italien ist sowieso voll von diesen Schwellen. Überall hilft’s. In Straubing erklärt die Verwaltung, dass es nicht hilft. „Versteh ich nicht“, sagt nach der Versammlung ein Mann, „ich hab erst in dieser Woche Feuerwehrfahrzeuge im Einsatz in die Fraunhoferstraße fahren gesehen.“ Er sagt, er hätte locker mitjoggen können. „Die rasen doch nicht durch die Innenstadt“, sagt er, „wo soll da ein Problem mit so Schwellen sein?“ Und Radler? Aber wenn die Verwaltung sagt „geht nicht“, dann geht es halt nicht. Und dann kommt der beste Verwaltungssatz: „Aber wir prüfen.“

So gesehen, ist nix wirklich Neues passiert in der Bürgerversammlung. Vielleicht die Idee, dass man die Seitengassen ab und zu durch einen Flohmarkt beleben könnte. Aber so ganz neu, hört man nach dem Abend, wäre das dann auch wieder nicht: Hat’s in der Rosengasse offenbar schon vor etlichen Jahren gegeben. Was eine Bürgerversammlung vom täglich grüßenden Murmeltier unterscheidet, ist nur, dass sie jährlich statt täglich kommt, weil man sie einmal jährlich halt machen muss. Und, dass manchmal echt witzige Ideen dabei sind, Ideen mit einem gewissen subversiven Grundgehalt, wie zum Beispiel ein Glasdach, über dem Stadtplatz: Einfach brillant, so kurz vor Jahresende 2025.

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A bissl narrisch, vielleicht