Prozessoptimierung
Servus, liebe Statistik, machs guad. Es war immer schön mit dir. Foto: Engel
Es war immer so schön mit ihm, so interessant. Man hat so viel erfahren, er war so klar, so einfach, so nützlich. Wenn man zum Beispiel für eine Geschichte wissen wollte, wie viele Allgemeinärzte es in Straubing gibt, hätte man von erfahren, dass es 2023 nur noch 23 Allgemeinärzte waren, 2018 aber noch 31. Ich habe ihn immer gerne gemocht. Aber das ist vorbei. Seit diesem Jahr macht die Stadt keinen Statistischen Jahresbericht mehr.
Der Statistische Jahresbericht ist immer irgendwann im Sommer veröffentlicht worden. In diesem Jahr war er im Herbst noch nicht da. Das schien mir seltsam, denn ich hab ihn vermisst, ich hab ja immer ab Mai schon auf ihn gewartet. Also habe ich bei der Stadt angefragt, wann er denn kommt. Die Antwort hat mich - ich muss es so knallhart sagen - ein Stück weit traurig gemacht. „Sehr geehrter Herr Engel“, hat die Stadt geschrieben, „leider muss ich Ihnen mitteilen, dass im Zuge der Prozessoptimierung kein Statistischer Jahresbericht der Stadt Straubing mehr erstellt wird. Gerne kann ich bei unseren Fachämtern einzelne Zahlen für Sie anfordern.“
Prozessoptimierung ist eine gute Sache, ich bin ein großer Fan der Prozessoptimierung, erst kürzlich und aus diesem Grunde habe ich ein neues Notebook erworben, und grad bei der Stadt finde ich Prozessoptimierung eine wunderbare Idee. „Prozessoptimierung“, definiert das Institut für Integrierte Produktion Hannover, „bezeichnet den gezielten Ansatz zur Steigerung von Effizienz und Effektivität in Unternehmensabläufen“, und: „Es ist wichtig zu betonen, dass Prozessoptimierung ein fortlaufender Prozess ist, der darauf abzielt, ständige Verbesserungen zu erzielen.“ Das finde ich sehr gut. Schade finde ich nur, dass mich diese Verbesserungen den Statistischen Jahresbericht kosten.
Das hat sich ja ziemlich verändert“
Mich interessieren Statistiken. Sie sagen so viel. Haben Sie zum Beispiel gewusst, dass die Bevölkerung der Stadt Straubing noch 1999 zu 72.4 Prozent römisch-katholisch war, zu 13,1 Prozent evangelisch und zu 14,4 Prozent „Sonstige und keiner Kirche Zugehörige“? 24 Jahre später liegen die Katholiken mit 49,5 Prozent nur noch knapp auf Platz Eins, „Sonstige und keiner Kirche Zugehörige“ sind ihnen dicht auf den Fersen mit fast 42 Prozent, und evangelisch sind nur noch gut neun Prozent. Das sind die Zahlen für 2023. Wann werden die Sonstigen die Pole Position übernehmen? Gerne hätte ich die weitere Entwicklung verfolgt. Jetzt geht das leider nicht mehr.
Aber solche Entwicklungen faszinieren mich halt. Deshalb habe ich fast alle Statistischen Jahresberichte der Stadt Straubing ab 1973 daheim, übernommen von meinen Eltern, die auch Statistikfreaks waren, und ich blättere gerne darin. Wenn ich dann entdecke, dass es 1973 nur drei Bierzelte mit 13 000 Plätzen auf dem Volksfest gegeben hat und die Besucherzahl jahrelang bei 420 000 gelegen ist, bin ich ganz erstaunt und denke: „Aha, soso, das hat sich ja ziemlich verändert.“ Der Jahresbericht selbst sich übrigens auch.
2023 war die Steuerkraftzahl nur noch 19 Prozent unterm Schnitt, 1973 noch 34,7 Prozent. Grundstücke hat man damals übrigens noch in Tagwerk gemessen.
In den 70er Jahren war er noch nicht so umfangreich. Jede Statistik war noch mit Schreibmaschine getippt und es waren nicht viele; 1973 waren es 22 handgetippte Seiten, und die Konfessionsstatistik war da noch gar nicht dabei. Der Bericht für 2023 hat 83 Seiten; es ist so Vieles erfasst, und natürlich ist er nicht mehr getippt auf einer alten Schreibmaschine, sondern am PC gemacht. Seit über 20 Jahren wird er nicht mehr gedruckt, sondern steht auf der städtischen Homepage, digital, zum Runterladen, und immer nur der aktuelle, ein Archiv gibt es nicht.
Woran ich nicht zweifle
83 Seiten machen sehr viel mehr Arbeit als 22, das ist völlig klar. Aber als verwaltungstechnischer Laie denkt man, dass ja die Digitalisierung alles viel einfacher macht, und dass man nur Daten in ein kleines Schreibfeld eingibt, dann wandert das automatisch auch in den Statistischen Jahresbericht, und man denkt, dass das Prozessoptimierung ist. Aber das ist falsch gedacht. Es wäre schön, wenn Prozessoptimierung so funktionieren würde, dass man einen Service nicht einstellen muss. Aber so funktioniert Prozessoptimierung leider nicht. Das ist sehr schade.
Wo soll ich jetzt nachschauen, wenn ich zum Beispiel wissen will, wie sich die Zahl der Einpendler weiter entwickelt? Ob es weniger werden wie zuletzt? Oder wieder mehr? Oder ob mehr Menschen im Eisstadion Schlittschuhfahren (letzte Zahl: 16 373) oder im Museum Römerschätze bestaunen (letzte Zahl: 13 023)? Wo soll ich erfahren, wie sich der Wohnraumbestand entwickelt und die Gewerbesteuer, der Schuldenstand und Steuerkraft, überhaupt die städtischen Finanzen? Er war so hilfreich. Und jetzt?
So viele Jahrzehnte lang hat es den Statistischen Jahresbericht gegeben. Mit das Beste an ihm war: Es waren ja in jedem Jahresbericht zu jeder Statistik auch die Vergleichszahlen zu den den Vorjahren da. Auf einen Blick hat man so viel gesehen. Natürlich kann ich - oder Sie, oder die Presse, oder ein Stadtrat – bei den Fachämtern „einzelne Zahlen“ anfordern; die Stadt sagt ja selber, dass sie diese Auskunft gerne gibt, und daran zweifle ich keine Sekunde. Aber wer will schon ständig Anfragen machen. Man verursacht mit solchen Anfragen letztlich nur Arbeit, man stört die Prozessoptimierung, und das will man doch nicht. Servus, mein lieber Statistischer Jahresbericht! Es war immer schön mit dir, so einfach, so unkompliziert.