Unschirmante Geschichte

Schirme und Bratwurststand: Anderswo gibt’s manchmal Sachen, die gibt’s anderswo gar nicht.

Man soll ja weltoffen sein und über den Tellerrand schauen, sonst sieht man ja gar nicht, wie bunt die Welt ist. Ich hab einen Blick drüber geworfen, sogar bis Deggendorf. „Sogar bis Deggendorf?“, werden Sie sagen, „Herr Engel, das ist aber nicht sehr weit!“, und da haben Sie recht. Aber es ist weit genug, um ein paar Unterschiede zur viellieben Heimatstadt zu erkennen.

Sie haben dort weinrote Schirme auf ihrem Stadtplatz, stellen Sie sich das einmal vor! Über Geschmack lässt sich streiten, aber ich finde das direkt schön. Ich mag manchmal Rot, gern auch als Wein, und ich finde sogar, dass eine der besten Sachen, die das Hotel Röhrl auf unserem Stadtplatz neu gemacht hat, diese knallroten Tischdecken sind. Rot ist die Liebe, singt Vicky Leandros, Rot macht attraktiv, sagen Stylisten, Rot erregt Aufmerksamkeit. Für die Freunde der Farblosigkeit in Straubings Politik und Verwaltung muss das grauenvoll sein.

Und in Deggendorf weiter oben, vor der Knödelwerferin, haben sie grüne Schirme, und kein Ordnungsamt und kein Stadtrat stört sich daran, vielleicht, weil Grün in der Farbpsychologie auch für Harmonie steht. Aber ich fürchte, ich bin schon wieder auf ganz dünnem Eis, mitten im Sommer kann das echt ungünstig sein.

„Schirme, welche die Anforderungen nicht erfüllen“

Es ist nämlich so, dass ich gedacht habe, Straubing sei ein bisserl lockerer geworden. Conny Steininger darf in der Jakobsgasse jetzt ganz kleine bunte Schirme haben, noch vor zehn Jahren war das ein komplettes No-Go. Manche kleinen Läden haben heute kleine Bankerl und Stühle vor der Tür, auch das war vor Jahren unmöglich. Und am Stadtplatz hat man nach Corona sogar diese Zusatzsonnenschirme geduldet, mit denen manche Gasthäuser die Stellen abschirmen, an denen die festinstallierten weißen Großschirme die Sonne nicht abhalten können. Das war richtig bürgernah, aber das ist jetzt vorbei. Jetzt gibt’s ein Problem.

Wie schlimm ist das denn?

Das hiesige Ordnungsamt hat fünf Gastronomen unter Bezug auf „die Anforderungen über die Möblierung der Freischankflächen“ auf Folgendes hingewiesen: Am Stadtplatz darf es nur „Sonnenschirme mit einer Größe maximal 4 m x 4 m in einem hellen, neutralen Farbton ohne Aufdruck“ geben. Und dass „bei einer Ortseinsicht festgestellt“ worden ist, dass da auch „Schirme mit Werbeaufdruck“ rumstehen. Und dass „Schirme, welche die Anforderungen nicht erfüllen“, bis spätestens zum 14. Juli entfernt werden sollen.

Ich war erstaunt: Schon wieder und ohne Not wird erklärt, dass etwas nicht geht? Schirme, blau und mit Aufdruck, warum denn nicht? Blau, sagt die Farbpsychologie, hat eine kühlende Wirkung, und im wirklichen Leben ist es doch so: Die Sonne wandert im Tagesverlauf, von Ost nach West, glaube ich. Dabei erwischt sie immer wieder Gastro-Plätze am Rand. Mobile Zusatzschirme an heißen Tagen sind da ein prima Gegenmittel, ich weiß das aus persönlichem Erleben. Sie sind auch nicht immer da, nur an ganz sonnigen Tagen. Fünf Sommer lang war das kein Problem. Jetzt ist es eins.

Die Rechtslage: Klar auf Verwaltungsseite

Die Rechtslage ist natürlich voll und ganz auf Verwaltungsseite. Das ist glasklar. Farblose Eintönigkeit ist Vorschrift am Stadtplatz seit den 80er Jahren, vom Ordnungsausschuss - also der Politik - bestätigt 2008 und erneut 2017. Ob auch die Vernunft auf Verwaltungs- und Politikseite ist, zweifle ich an. Obwohl das natürlich nicht ganz ohne Risiko ist; es könnte ja sein, dass dann wieder wer in die Luft geht wie ein HB-Männchen, damit muss man rechnen in Straubing. Mit Bangigkeit im Herzen versuche ich deshalb, meine Zweifel zu begründen.

Ohne den Schirm wär der halbe Tisch verstrahlt.

Es ist ja so: Wer zu einer bestimmten Tageszeit im Sommer vor dem Seethaler auf der westlichsten Bank sitzt, wird irgendwann die Sonne spüren, allen neutralfarbig festinstallierten Großschirmen zum Trotz. Bei 30 Grad ist er dann froh, wenn der Wirt den Paulaner-Schirm öffnet. Und wer im Gäubodenhof und Hotel Röhrl auf der südlichen Seite der Gred sitzt, dem geht’s genauso. Das ist der Grund, warum diese Wirte diese mobilen Zusatzschirme aufstellen. Es ist im Interesse der Gäste. Es ist vernünftig.

Dagegen steht freilich, dass auf diesen Schirmen wahlweise Arco, Paulaner oder Augustiner steht, und am Weißbierhaus Röhrl. Das kann man selbstverständlich viel schlimmer finden als einen Sonnenbrand am Arm oder Genick; man kann es aber auch umgekehrt sehen und sagen: „Samma froh, dass da blaue Schirme sind, und die paar Brauereinamen, mein Gott, wen stört das denn ernsthaft?“

Schlafende Hunde, unbedingt wecken

Ich neige letzterer Auffassung zu. In den vergangenen Sommern waren diese mobilen Schirme auch schon da, und zwar aus Hitzeschutzgründen. Für wen war das schlimm? Ich wüsste keinen. Aber natürlich kann man auch fordern, dass Wirte keine Brauereischirme nehmen, die kostenlos da sind, und dass sie selbst Geld in die Hand nehmen sollen zum Kauf absolut farbloser Schirme. Aber muss man das fordern?

Für das amtliche Straubing ist offenbar klar: Logo, das muss man, schlafende Hunde muss man ja unbedingt wecken. „Die genannten Werbeschirme“, teilt die Stadt auf Anfrage mit, „wurden aktuell beanstandet, da sie nicht mit den gültigen Gestaltungsvorgaben und den entsprechenden Sondernutzungserlaubnissen übereinstimmen.“ Dann folgt ein Satz, der zeigt, wie trennend die gemeinsame Sprache sein kann. Dieser Satz lautet: „Eine temporäre Duldung oder gängige Praxis im Sinne einer bewussten Tolerierung lässt sich aus Sicht des Ordnungsamts nicht bestätigen.“

Fünf Sommer mit diesen Schirmen sind keine temporäre Duldung aus Sicht des Ordnungsamts ? Aus meiner Sicht sind fünf solche Sommer das natürlich schon, und wir sehen: Wir benutzen dieselben Wörter. Aber wir verstehen uns damit gegenseitig nicht mehr.

Bürokratieabbau?

„Verstöße“, schreibt die Stadt, „können grundsätzlich als Ordnungswidrigkeit gewertet werden, wobei in den vorliegenden Fällen von Bußgeldern abgesehen wird, soweit die Schirme fristgerecht entfernt werden.“ Es ist ein bürokratischer Vorgang. Er ist rechtlich nicht angreifbar, aber komplett überflüssig.

Bürokratie besteht zum großen Teil aus dem Erledigen rechtlich korrekter, aber überflüssiger Vorgaben. Würde eine Verwaltung darauf verzichten, weil niemand in diesen Schirmen ein Problem sieht, dann müsste niemand in der Verwaltung suchen, ob man nicht was finden könnte; niemand müsste Zeit mit E-Mails schreiben verbringen; und niemand müsste „Ortseinsichten“ und Kontrollgänge machen und schauen, ob die E-Mails auch umgesetzt werden.

Dann hätte die Verwaltung etwas mehr Zeit für Dringenderes: für die routinemäßigen Verlängerungen von Sonderparkausweisen für Handwerker und Hausmeisterdienste zum Beispiel. Es gibt nämlich sehr, sehr viele Handwerker in dieser Stadt, die verärgert von Wartezeiten bis zu elf Wochen für diesen Routinevorgang berichten. Das wäre Bürokratie-Abbau, das wäre erfreulich für alle. Aber freilich, der Preis dafür wäre, dass am Stadtplatz ein paar blaue Sonnenschirme mit Brauereinamen drauf stünden.

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Stranninger macht’s wieder