Straubinger Abwehrverhalten
Foto: Engel
Wie war das eigentlich damals beim Kaffeestand? Hat da auch die halbe Stadt Zeter und Mordio geschrien? Hat man „Kaffeestand? Überflüssig!“ gepostet, und „Wer Kaffee will, soll zum Krönner gehen oder ins Segafredo!“? Und: „Wir haben genug Cafes auf dem Stadtplatz, und Straubing ist außerdem eine Leberkäs-, Weißwurst- und Weißbierstadt!“ Und hat man angefügt: „Wer trotzdem unbedingt seinen Kaffee verkaufen will, soll einen Leerstand anmieten in der Albrechtsgasse, da steht viel frei!“? Hat man das?
Heute, beim Fisch-Pavillon, gibt es dieses Geschrei. „Aber”, wenden Sie vielleicht ein, „damals war vor dem Kaffeestand doch schon ein Kiosk da“, und das ist richtig. Es war ein Zeitungskiosk, ein Alleinstellungsmerkmal damals am Stadtplatz, und auch dieser alte Zeitungskiosk war nicht immer schon da, im Sandtner-Modell von 1568 jedenfalls war er’s noch nicht. Er muss irgendwann später gekommen sein: eine Veränderung. Dann ist der Kaffeestand draus geworden. Unserem Stadtplatz hat das sehr gut getan.
Sie merken: Tendenziell bin ich für einen Fischstand am Stadtplatz. Ich glaube, wenn ein solcher Stand in anderen Städten ein Geschäft ist, kann er in Straubing auch eines sein. Und wenn er ein Geschäft ist, ist das eine Bereicherung, und auch die Stadt selbst würde nach einigen Jahren Geld damit verdienen, denn sie hätte Pachteinnahmen. Aber ich glaube nicht, dass der Fischstand noch kommt. Dieses Thema ist tot.
Warum heißt er Fischbrunnen?
Straubing ist super in der Abwehr von Ideen. Ein Fischstand am Stadtplatz? Hilfe! Dann stinkt‘s doch bestimmt! So haben im Internet viele Leute protestiert, und sie haben wörtlich geschrieben: „Wir sind ned am Meer, wo sowas vielleicht Sinn macht.“ Und: „Lasst es doch bitte einfach sein. Fisch gibt es bei der Nordsee.“ Und: „Die Nordsee reicht ja.“ Und außerdem: „Was hat Straubing mit Fisch zu tun?“
Das alles war wirklich ernst gemeint. Die Verfasser glauben offenbar, dass Fisch nur aus dem Meer kommen kann. Sie sind überzeugt, dass die Nordsee-Filiale am Ludwigsplatz Fisch verkauft. Sie wissen nicht, was Straubing mit Fisch zu tun hat. Und bei einem Bürgerentscheid würden sie alle gegen den Fischstand stimmen.
Frischfisch? Gibt’s hier eher nicht. Foto: Engel
Es gibt keinen Fischverkauf in der Nordsee. Es gibt ihn seit Jahren nicht mehr. Denen, die jetzt um die Nordsee besorgt sind, ist das nicht aufgefallen. Sie wissen auch nicht, dass es Fische auch in den Flüssen gibt. Was Straubing „mit Fisch zu tun“ hat, wissen sie auch nicht. Aber Straubing liegt an einem Fluss. Sein Name ist Donau. Es gibt Hecht, Waller, Zander, Forelle, Karpfen und viele andere Fische in der Donau. In der Nordsee am Ludwigsplatz gibt es die nicht. Und warum nicht? Weil, Überraschung, die Nordsee in Straubing schon lang keinen Fisch mehr verkauft.
„Leberkäs, Weißwurst, Weißbier“: Im Ernst?
Wissen Sie, warum der kleine Fischbrunnen am Stadtturm Fischbrunnen heißt? Weil da früher der Straubinger Fischmarkt war. Das Thema Fischstand ist ein einfaches Thema. Es ist nicht kompliziert. Straubing hat früher einen Fischstand gehabt, es könnte wieder einen haben, und er könnte eine Bereicherung für den Markt sein. In anderen Städten gibt es das schon, und es ist es ein Geschäft. Für viele Straubinger ist das offenbar unvorstellbar.
Natürlich stellen sich Fragen bei diesem Thema. Zum Beispiel könnte man fragen: Warum nimmt man nicht den alten historischen Platz? Dann würde auf dem historischen Fischmarkt wieder Fisch verkauft werden, da müsste doch sogar der Denkmalschutz jubeln. Im Ordnungsausschuss war die Antwort auf diese Frage: Weil heute dort vier Schaukelpferde für Kinder sind.
Man könnte man weiterfragen: Warum tut man die Schaukelpferderl nicht weg und stellt sie zu dem Wasserspiel? Das ist doch grad im Bau und soll besonders auch Kinder anziehen? Solche Fragen hat aber niemand gestellt. Man kann auch andere Fragen stellen. Man kann einen Fischstand durchaus auch kritisch sehen. Aber dann sollte man Argumente bringen. Wenn aber halb Straubing auf dem Niveau: „Was hat Straubing mit Fisch zu tun, wir sind nicht am Meer, und außerdem gibt’s Fisch in der Nordsee“ diskutiert, dann ist das erschreckend.
Bürgerbegehren? Vorsicht!
Es ist erschreckend, wenn in einem Leserbrief ganz im Ernst „Leberkäs, Weißwurst und Weißbier – das sind unsere kulinarischen Markenzeichen!“ geschrieben wird. Eine solche Haltung macht alles Neue am Stadtplatz unmöglich, jeden Inder, jeden Vietnamesen und Griechen. Eine solche Haltung ignoriert außerdem komplett, dass Fisch am Stadtplatz eben doch Tradition hat.
Die Stadt war bereit, etwas Neues zu wagen. Anderswo ist solch ein Stand schon lang selbstverständlich. In Deggendorf ist er ein Geschäft. Niemandem stinkt das in Deggendorf. In Straubing ist das anders. Hier stinkt das vielen Straubingern, und ich behaupte: Es stinkt ihnen, weil es etwas Neues ist. Das wollen sie nicht. „Das ist kein Geschäft“, behaupten deshalb viele im Internet, als ob es ihr Risiko wäre, und sie fordern einen Bürgerentscheid.
Vielleicht war die Idee auch nicht bis ins Letzte durchdacht. Vielleicht hat es Punkte zur Art des Baus gegeben, die nicht genau abgeklärt waren. Aber das ändert nichts daran, dass die Idee interessant war. Diese Idee ist jetzt zerschossen worden. So schnell wird nach diesem Shitstorm im Internet niemand mehr mit einer Idee an die Stadt herantreten. Für diejenigen Leute im Rathaus, die offen für Neues sind, ist das ein Rückschlag, und andere Leute im Rathaus sind jetzt gestärkt.
Bürgerbegehren? Gute Idee?
Stadtrat Johannes Spielbauer will jetzt ein Bürgerbegehren dazu beantragen. Spielbauer selbst glaubt, dass ein Fischstand den Stadtplatz bereichern würde. Er selbst hat für diesen Fischstand gestimmt, weil er glaubt, dass er Pluspunkt und eine Stärkung für den täglichen Markt wäre, und er sagt, in einem Bürgerbegehren wird er für diesen Fischstand stimmen. Warum will er dann ein Bürgerbegehren?
Er will es deshalb, weil er die Stimmung in der Stadt spürt. Er glaubt, dass die Bürger ein Recht haben, selbst zu entscheiden. Ich glaube das nicht. Wir haben gewählt, damit Stadträte entscheiden, und hoffentlich auf einer fundierteren Ebene als „Fisch gibt’s bei der Nordsee, und was hat Straubing mit Fisch zu tun?“ Ich glaube nicht, dass „Fisch gibt’s bei der Nordsee“-Gläubige besser entscheiden als Stadträte. Ich glaube, sie entscheiden schlechter.
Hätte Straubing vor 20 Jahren über die Cafebar abstimmen dürfen, wäre sie nicht gebaut worden, niemals. Ganze Wellen der Abneigung sind damals hereingebrochen über den Bau. Und heute? Die vielleicht erfolgreichste Gastronomie Straubings, nicht mehr wegzudenken, „this could be in Melbourne“, hat eine Besucherin aus Australien einmal anerkennend gesagt. Aber ein Bürgerentscheid wäre damals der Tod dieser Cafebar gewesen.
„Vox populi, vox dei“?
Ein Bürgerentscheid in einer Stadt wie Straubing verursacht Kosten im sechsstelligen Bereich. Das ist in etwa so viel wie der Bau dieses Fischstands. Das heißt: Entweder die Gegner des Fischstands gewinnen. Dann hat die Stadt keinen Fischstand, aber sechsstellige Kosten für den Entscheid. Oder der Fischstand gewinnt. Dann kann die Stadt die Baukosten refinanzieren, aber die Entscheidskosten nicht, denn ein Bürgerentscheid refinanziert sich nicht. Es wären in diesem Fall verlorene Kosten. Wie schlau wäre das?
Man kann im Internet nachlesen, wie oft sogar bei diesem einfachen Thema Argumente verfangen wie „Fisch kann man bei der Nordsee kaufen“, oder „Straubing hat nix mit Fisch zu tun“. Es sind Argumente, die leicht als falsch zu erkennen sind. Aber sie werden nicht als falsch erkannt, sie werden immer wieder verbreitet. Da will ich nicht wissen, wie gut informiert wir als Gesellschaft bei komplexeren Themen sind.
„Vox populi, vox dei“, sagt man manchmal, „Volkes Stimme ist Gottes Stimme.“ Ich habe gegoogelt, wo der Spruch herkommt. Er kommt von Albuin, einem Berater Karls des Großen, und, Überraschung: „Auf diejenigen muss man nicht hören“, hat Albuin geschrieben, „die sagen, ‚Volkes Stimme, Gottes Stimme‘.“ Was er damit gemeint hat, ist letztlich ein Satz, der gern Franz Josef Strauß zugeschrieben wird, obwohl der ihn auch nur übernommen hat: „Vox populi, vox Rindvieh.“ Ich glaube, ein Bürgerbegehren wäre hier völlig falsch, und ich glaube auch nicht, dass es kommt. Die Idee eines Fischstands ist zerschossen. Straubing sollte darauf nicht stolz sein.