Postkarten-Idyll
Noch ohne Zufahrt Ottogasse. Foto zur Verfügung gestellt von Robert Graf.
Schauen wir uns diese Postkarte an, coloriert, vor 121 Jahren gelaufen. Ein Blick den Stadtgraben hinauf zur Gerhaher-Villa, aufgenommen kurz vor der Wittelsbacher Straße, etwa 1903. So viele Bäume, beidseitig, unglaublich viel Grün, Postkarten-Idyll. Würden Sie sagen, der Anblick heute ist schöner? Wohl kaum. Der Stadtgraben ist jetzt autogerecht, funktional. Das Idyll ist zerstört.
Vermutlich praktisch, aber auch schön? Foto: Engel
So ist das überall in der Innenstadt. Am Stadtplatz hat man in bester Absicht und reihenweise die jahrhundertealten Patrizierhäuser entkernt. Alles, was rund war, hat man eckig gemacht. Riesige Schaufensterscheiben hat man ins Mauerwerk gepresst, Zwischenwände herausgerissen, die Häuser praktisch auf Stelzen gestellt. Touristen am Stadtplatz müssen die Köpfe nach oben richten, um Schönheit zu sehen, denn das Erdgeschoss schaut aus wie von der Stange, ohne jede Individualität.
Hinterhöfe hat man vernichtet, einen Arkadenhof zerstört. Es gibt nur noch wenige Häuser mit der alten Struktur, das Krönnerhaus etwa, das sich abhebt von diesen gestelzten Verkaufsflächenhäusern, oder der Seethaler mit seiner ursprünglichen Fensterstruktur, dem genau gegenüber das moderne Sparkassen-Eckgebäude steht. Man kann vergleichen.
Der Irrtum der Wirtschaftswunderzeit
Vielleicht hätten wir heutigen Menschen damals alle genauso gehandelt. Es war Wirtschaftswunderzeit, die Zeit der großen Kaufhäuser, Hertie, Karstadt, Kaufhof, Horten. Glücklich pries sich jede Stadt, die solche Magneten hatte. Vermutlich hätten wir auch für ein paar Jahrzehnte guter Geschäfte die ursprüngliche Schönheit der Straubinger Innenstadt fast komplett zerstört.
Straubing bekommt damals Bilka, den Billigableger von Hertie, und dass das alte Hotel Röhrl und der Biergarten am Steinerthorplatz dafür das Zeitliche segnen muss, hat niemand gestört. Es ist die Zeit, als die Bäume bis in den Himmel zu wachsen scheinen. Innenstädte sind damals Konsumparadiese, immer im Wachstum, Verkaufsflächen, Parkplätze, alles auf Wachstum. In bester Absicht nimmt man den Innenstädten damals Gesicht und Charakter. Aber Bäume wachsen nicht bis in den Himmel.
Wachsender Leerstand
Schon Ende der 80er Jahre, nach nur 20 Jahren, kommt das Bilka in Schieflage. Woolworth übernimmt, aber die Fläche ist auch für Woolworth zu groß. Von ursprünglich vier bewirtschafteten Etagen bleibt an Schluss nur noch eine. Tausende Quadratmeter stehen allein in diesem Gebäude über Jahre leer.
Die Entwicklung am Stadtplatz heute ist ähnlich. K&L ist weg, um andere große Häuser gibt es immer wieder Gerüchte, kleinere Flächen stehen schon leer. In Regensburg wissen sie nicht, was mit dem riesigen Kaufhof-Komplex werden soll.
Heute wären wir froh um einen Biergarten am Steinerthorplatz. Wir wären froh, stünden die Patrizierhäuser am Stadtplatz nicht auf Stelzen, wären nicht entkernt und hätten die Häuser in Burg- oder Albrechtsgasse noch ihre originalen Fassaden. Es wäre leichter, kleine Laden- und Praxiseinheiten zu schaffen, und Wohnraum auch. Und das ursprüngliche Straubing, mit seinem Postkartencharme, wäre als Touristen-Zielort wesentlich attraktiver.
Symbol Woolworth-Bauzaun
Wenn es ein Hoffnung machendes Symbolbild für den Wandel der Innenstadt heute gibt, dann ist es der Woolworth-Bauzaun. Hier passiert jetzt etwas. Das ist gut, es kann ja nur gut sein. 55 Jahre ist diese Immobilie erst alt, das ist nichts im Vergleich zu den Patrizierhäusern am Stadtplatz. In kürzester Zeit ist sie vom Wirtschaftswunder-Symbol zu einem Symbol der Nutzlosigkeit geworden. Vielleicht funktioniert das neue Konzept mit Branchenmix, Gastro und Hotel. Es gibt zumindest eine Idee, ein Konzept.
Eine Idee, ein Konzept, braucht auch die restliche Innenstadt. Einkaufen verliert an Bedeutung, Gastronomie wird immer wichtiger, Wohnen auch, Kultur auch. Das sagen viele Studien zur Lage der Innenstädte.
Weniger Konsumraum, mehr Lebensraum sollte das Ziel sein: Mehr Wohnen in einem Wohlfühl-Umfeld, mehr Grün, mehr Tourismus. Wie kann das gelingen? In Straubing gibt es seit einigen Monaten einen „Strategiekreis Innenstadt“. Die Wirtschaftsförderung im Rathaus ist dabei, Geschäftsleute vom Stadtplatz, Hausbesitzer, Bauträger. Schauen wir, was herauskommt. Nennen Sie mich rückwärtsgewandt, aber rein aus ästhetischen Gründen wäre ein bisserl mehr Postkarte nicht schlecht.